Wohin man im Moment auch sieht, die Medien sind voll von Nachberichten zum Eurovision Song Contest (ESC) 2014 und der Siegerin Conchita Wurst. Auf einmal sucht die Medienlandschaft Hassredner, um auf den Zug eines angeblich in Toleranz und Intoleranz gespaltenen Europa aufzuspringen. Ganz ehrlich – Ich finde das alles einfach nur dämlich! Und damit meine ich nicht Conchita. Beileibe nicht.
Ich bin kein Fan des ESC, habe es nie großartig verfolgt. Auch dieses Jahr habe ich eigentlich nur deswegen davon erfahren, weil man medial nicht daran vorbeikam, dass jemand die nun Gewinnerin im Vorfeld diffamierte. Prinzipiell gönne ich jedem seine eigene Meinung. Aber man sollte davon absehen beleidigend zu werden. Die Welt ist groß und vielfältig genug, sodass jeder seiner Wege gehen kann ohne andere zu belästigen. Wenn jemand mit Travestie – warum auch immer – auf Kriegsfuß steht, meinetwegen. Aber ich schnauze auch nicht jeden an, nur weil er geringelte Socken trägt und das nicht zwangsläufig zu meinen Favoriten gehört.
Der Witz an diesem ganzen Hick-Hack im Vorfeld ist doch, dass er meiner Meinung nach maßgeblich zum Ausgang beigetragen hat.
Aber der Reihe nach: Wir haben also eine kleine Medienschlacht, derer sich die Reporter warmherzig annehmen und sie benutzen andere, weniger populäre, Themen aufzuheizen. So funktioniert dieser schwachsinnige Apparat nun einmal. Generation „Im Fernsehen wird immer alles ehrlich und wahrheitsgemäß berichtet“ sitzt also tagein tagaus vor dem Gerät und verfolgt einen ziemlich sinnfreien Zirkus. Jetzt werden die Ersten aufschreien und sagen „Sinnfrei? Es war sehr wichtig, dass dabei für Toleranz geworben wurde!“ Ja, keine Frage. Aber nun stelle ich mal eine Frage: Warum muss dafür heutzutage noch geworben werden? Ist unsere Bildung schlechter als es eine Studie, gleich nach welchem Ort sie benannt sein mag, es je darstellen könnte? Ganz offensichtlich! Wer Toleranz nicht als Grundsatz jedweden Miteinanders versteht, hat spätestens beim Verlassen der eigenen Wohnung ein Problem, sofern er oder sie allein wohnt. (Wenn nicht, dann verschiebt sich das Problem im Tagesablauf auf einen entsprechend früheren Zeitpunkt. Nämlich dahin, wo das erste Mal ein anderes menschliches Wesen getroffen wird.) Jeder Mensch, mit dem wir in irgendeiner Art in Kontakt kommen, wird mit Sicherheit mehr als nur eine unserer Ansichten nicht teilen. Warum auch? Aber ist das schlimm? Wie sollte man sich in einen anderen Menschen verlieben können, wenn man nicht in der Lage ist, Toleranz etwas anderem gegenüber zu zeigen? Und ein Mensch, der nicht nach Liebe in einer ihrer unzähligen Formen (z.B. auch Anerkennung) strebt, muss erst noch geboren werden. Warum also sind manche Menschen offensichtlich nicht in der Lage diese Toleranz vom Kleinen ins Große zu projizieren?
Der große Abend war da, die Diskussionen ermüdend lang durch alle Sendungen, die der Äther zu bieten hat, getragen. Es kam, wie es kommen musste. Nein, ich habe die Übertragung nicht gänzlich gesehen. Ich kam später dazu und das auch mehr durch Zufall. Zu diesem Zeitpunkt begannen gerade die Urteilsverkündungen. Und ja, mich hat dann doch irgendwie interessiert, ob beim ESC nur Musik eine Rolle spielt oder das Podium nun anderen Dingen eine Bühne bieten muss.
Ich muss sagen, dass ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte. Es war so vorhersehbar, dass es schon wieder ironisch wirkte. Ich bitte Conchita und die zugehörigen Künstler(innen) um Verzeihung, wenn ich damit jemandem auf den Schlips treten sollte. Aber musikalisch war sowohl das Lied, als auch die Interpretation nicht überragend. Es war nett, aber nicht künstlerisch wertvoller oder fulminanter als die Konkurrenz. Was nicht heißen soll, dass es schlecht war!
Insofern sehe ich das sehr deutliche Ergebnis als eine Art Boxwertung zu dem was im Vorfeld passierte und aufgeputscht wurde. Mit einem klaren Sieger nach Punkten. Im Prinzip eine Art Bekenntnis zur Toleranz. Warum sich die Anrufer europaweit dazu entschlossen haben, ist mit Sicherheit vielfältig begründet. Nicht jeder wird ein Fan dieser Musik oder der Travestie sein. Medial übermalt oder nicht, zu einem gewissen Teil hat das Gro aber mit Sicherheit – zumindest temporär – verstanden was in dieser Welt falsch läuft. Fand und finde ich gut! Schade für diejenigen, die musikalisch begründet unter Normalbedingungen eher gewonnen hätten. Aber manchmal sind andere Dinge wichtiger.
Was im Anschluss nun aber folgt, ist dermaßen daneben, dass mir eigentlich die Worte fehlen, mich aber treibt all das hier zu schreiben. Allerorts – offline und online – wird plötzlich vollkommen sinnlos debattiert. Die einen schmettern Lobeshymnen, die anderen lassen ihrer Intoleranz freien Lauf. Die Medien stürzen sich wie eine Horde Unterernährter auf das kostenlose Buffet und bringen Beiträge mit reißerischen Titeln und Thesen zu beiden Seiten. Warum? Ja, warum? Ich kann beides nicht nachvollziehen und es hängt mir zum Hals heraus. Mit dem Ergebnis des ESC gibt es ein repräsentatives Urteil. Oder will mir jemand weißmachen, dass am Veranstaltungstag bekennend intoleranten Menschen die Telefonleitung gekappt wurde? Sie hätten also alle für jemand anderen anrufen können, wenn ihnen die Sache so wichtig gewesen wäre. Nein, ich habe weder angerufen, noch eine SMS geschickt, noch sonst irgendwie meine Stimme beigetragen. Mir war das Ergebnis vollkommen egal.
Ich muss nochmal auf den Vergleich mit dem Boxkampf zurückkommen: Ich kann doch nicht mit herausgeprügeltem Auge und kaum noch in der Lage mich zu bewegen anfangen das Ergebnis anzufechten. Wo liegt da der Sinn? K.O. ist K.O. – Da hilft auch keine Propaganda gleich welchen Inhalts!
Also bitte, bitte hört endlich auf darüber zu schreiben! Ich will es nicht mehr sehen, ich KANN es nicht mehr sehen!
Liebe Toleranz-Prediger: Lasst es gut sein, ihr habt gewonnen
Liebe Intoleranten: Soll alles gleich sein? Wirklich? Das klappt schon am eigenen Körper von Geburt an nicht. Oder sind eure Arme und Beine – trotzdem sie im Normalfall paarweise auftreten – nicht spiegelverkehrt?
In diesem Sinne: Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt alles in sich schlüssig ist. Ich bin hundemüde und will – getreu dem Untertitel meines Blogs – einfach nur mal meine Meinung kundtun. Und nein, meine Meinung ist nicht der Weisheit letzter Schluss! Aber ich toleriere jeden Andersdenkenden, solange er mich auch toleriert.
Viel bedenklicher als das ganze Brimborium um die Wurst finde ich allerdings etwas anderes. Und zwar die Pfiffe gegen die russischen Kandidatinnen. Das zeigt sehr deutlich wie schnell aus übertriebener oder falsch gemeinter Toleranz wieder Intoleranz wird. Denn die zwei Kandidatinnen können sicher nichts dafür, dass Homosexuelle in ihrem Land einen schweren Status haben oder in der Ukraine ein Bürgerkrieg droht. Wenn solche Shows zunehmend politisiert werden, wird dies die Völkerverständigung eher bremsen oder gar quasi negieren.
Hallo Tim!
Vielen Dank für Deinen Kommentar!
Die Zweckentfremdung ist im Allgemeinen daneben. Das schadet letzten Endes allen Beteiligten.
Deine Ansicht zur Völkerverständigung teile ich nur bedingt. (in diesem konkreten Fall) Es ist falsch die beiden für etwas zu betrafen, was ihr Land ihnen diktiert. Ob es auch ihrer persönlichen Haltung entspricht wird man nicht feststellen können. Aber was die Völkerverständigung wirklich bremst sind eben jene Vorgaben. Die Pfiffe sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.