Im Folgenden möchte ich mich einer Thematik widmen, auf die ich neulich erst wieder aufmerksam gemacht wurde. Dabei meine ich positives Denken als Heilmittel für Rückschläge und missliche Situationen aller Art.
Den Stein ins Rollen brachte Ulrike Fuchs – geprüfte Heilpraktikerin für Psychotherapie – als sie vor einer guten Woche ein Video auf YouTube stellte. In diesem Video äußert sie sich bzgl. der „Denk-Positiv-Challenge“, die sich viral ihren Weg durch die Sozialen Netzwerke bahnt.
Via Google+ waren wir zuvor schon einmal auf dieses Thema gekommen. Doch, wenn ich schon meinen Senf dazugebe, will ich Dich natürlich nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil – ich würde mich freuen, wenn Du Deinerseits in den Kommentaren Deine Meinung zum Besten gibst.
Ich denke, also bin ich woanders
Auch wenn ich den Begriff des „homo sapiens“ für einen arroganten Fehlgriff halte, ist der menschliche Geist eine durchaus komplexe Angelegenheit. Dennoch beruht vieles, wie bei den meisten komplizierten Dingen, auf sehr simplen Mechanismen. Denn die meisten unserer Handlungen sind nichts weiter als die Reaktion auf unsere Wahrnehmung – Ursache und Wirkung.
Jeder wird das schon einmal erlebt haben, dass eine Wunde erst dann schmerzt, wenn ein entsprechend wahrnehmender Impuls im Gehirn angekommen ist; z.B. das Feststellen einer Schnittwunde nachdem man längst weitergearbeitet o.ä. hatte. Man erblickt den Schnitt und es brennt. Obwohl er schon eine halbe Stunde am selben Fleck von Unheil zeugt.
An dieser Schnittstelle setzt auch das positive Denken an. Denn wenn man seinem Gehirn etwas vorgaukelt, reagiert es auf diese vermeintliche Wahrnehmung. Es kann gar nicht anders. Denn so komplex manche Zusammenhänge auch scheinen mögen; in dieser Hinsicht ist es nicht entscheidungsfreudiger als ein Lichtschalter.
Als kurze Zwischenlösung ist das vielleicht gar keine schlechte Idee – zumindest in Abhängigkeit von der jeweiligen negativen Situation, in der man sich befindet. Es kann doch nichts schlimmes dabei sein, wenn das Ergebnis ist, dass ich mich nahezu permanent gut fühle, oder? Hm… Ich glaube so etwas schon einmal im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln gehört zu haben… Ups!
War Dir der Vergleich jetzt zu hart? … Schon?
Ich rede von einem künstlich erzeugten, anhaltenden Hochgefühl. Es kaschiert negative Gedanken im Hirnumdrehen.
„Komm, trink erstmal einen mit. Dann geht’s Dir besser!“
Das Umfeld wird einen zunächst vielleicht sogar noch bestärken. Denn man bewundert den vermeintlichen Optimismus und die Souveränität, mit der man durch die hohen Wellen des Alltags segelt. Tja, wenn unter Deck der Lieblingsfilm als Dauerschleife läuft…
Der Knackpunkt ist doch folgender: Egal wie ich versuche Probleme zu kaschieren, ich kann sie maximal schönfärben oder übermalen. Aber sind sie deshalb nicht mehr da? Ich sehe Dich nicht, Du siehst mich nicht? – Natürlich nicht. Ergebnis: Problem da, Wahrnehmung weg. Denn mein Gehirn schaut ja weiter die Komödie und grinst sich eins.
Daraus folgt, dass in erster Linie das Negative nicht wahrgenommen wird. Na und? – Tja, ohne Ursache keine Wirkung. Folglich ist man viel mehr mit dem Erhalten der künstlichen Realität beschäftigt als einen Ausweg zu finden.
Dass ein Problem nicht verschwindet oder auch nur kleiner wird, wenn man es ignoriert, wird Dir sicherlich bekannt sein. In vielen Fällen ist sogar das Gegenteil der Fall.
Ab einem gewissen Punkt spielt man also nicht nur sich selbst etwas vor, sondern schlüpft regelrecht in eine Rolle. Dieses Schauspielengagement wird allerdings – so professionell man sich dabei auch anstellen mag – nicht mit Auszeichnungen oder Anerkennung bedacht. Durchschaut jemand das Ränkespiel, kann das schnell weitere Probleme hervorrufen.
Weitere Probleme? Kein Thema, mit genügend Fantasie sind auch die schnell rosa lackiert!
Umso mehr man davon Gebrauch macht, desto eher identifiziert man sich mit der Rolle. Man gewöhnt sich eben daran. Und wir Menschen sind und bleiben Gewohnheitstiere. Aber was soll das schon? Gehört es nicht irgendwie schon zum guten Ton einer zivilisierten Welt nicht mindestens zwei Gesichter sein Eigen zu nennen?
Lernen und lernen lassen
Lebewesen haben zwar Instinkte. Aber im Großen und Ganzen besteht das Leben aus einem gewaltigen, nie endenden Lernprozess.
Herdplatte, heiß, aua, loslassen, nicht nochmal anfassen.
Auf diese Art lernen wir auch aus misslichen Situationen anderer Art. Wir reagieren nicht nur auf Ursachen. Wir speichern den Umgang damit im Idealfall auch ab, um entweder in ähnlichen Situationen erneut so handeln zu können oder beim nächsten Versuch eben nicht wieder falsch zu reagieren.
Optimismus vom Optiker?
Eine rosa Brille verfälscht die Wahrnehmung. Trägt man sie permanent, verhindert sie nicht nur eine Lösungsfindung, sondern führt auch zu unverhältnismäßigen Reaktionen in Folge nicht stattgefundener Lernprozesse. Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und sagen, dass man verdummt; dazu ist das Erhalten der Rolle zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich im Anspruch schon genügend gestiegen. Aber besonders schlau im Umgang mit Problemen wird man sich wohl kaum anstellen. Ach, ich vergaß, es gibt ja gar keine Probleme mehr.
Unterm Strich / Summa cum Laune
Das, was wir jeweils als Individuum sind, ist die Summe unserer Erfahrungen in Kombination mit den Schlüssen, die wir daraus gezogen haben. Wenn wir also im Kopf alle Ampeln auf Grün stellen, werden wir irgendwann vergessen was Bremsen eigentlich sind, geschweige denn, wann wir davon Gebrauch machen sollten.
Ganz ehrlich, ich halte von dieser Art der angeblichen Problembewältigung so überhaupt nichts. Unsere Persönlichkeit sollte nicht aus Scheinwelten geformt werden. Wenn wir die Dinge nicht mehr so wahrnehmen wie sie sind, ist das in meinen Augen äußerst gefährlich.
Was uns nicht umbringt, macht uns härter.
Ja, das Phrasenschweinchen freut sich. Aber da steckt schon viel Wahres drin! Und im Umkehrschluss mutiert man dann in Scheinwelten, so schön sie auch sein mögen, langsam aber sicher zum Wattebausch.
Ich für meinen Teil würde, sollte ich jemals in die Situation kommen, dass ein Arzt o.ä. mir zu so etwas rät, höchstwahrscheinlich aufstehen und gehen. (Wenn körperlich nicht möglich zumindest im übertragenen Sinne.)
Bevor Du nun aber Deine Meinung dazu direkt in die Kommentare schreibst, kannst Du Dir quasi zum Verdauen noch das Video von Ulrike anschauen. Das soll Dich aber keinesfalls am Kommentieren hindern. Und wenn Dir der Beitrag gefällt, bin ich der Letzte, der dagegen wäre, dass Du ihn in den Sozialen Netzwerken teilst.
Nun hat aber Ulrike sozusagen das Wort. Sie drückt sich auch von beruf(ung)swegen empathischer aus als ich es vermag.
Fundstück
Ich habe doch noch etwas. Wer sich selbst dazu nötigt permanent bergauf zu fahren und dafür sogar auf einen nicht unerheblichen Teil seiner selbst zu verzichten, sieht eines Tages vielleicht so aus:
Also, zu Deinem Fundstück. Warst Du bei uns am Bahnhof (Hamburg Farmsen) ? Genau da stehen von Deinen Fundstücken noch ein paar im Wege herum.
Was uns nicht umbringt, macht uns härter.
Zunächst gehe ich einen sehr großen Teil Deiner -Ausreden- Ausführungen mit Dir. Aber eben nicht alle.
Es gibt Situationen wo z.B. Ärzte Dir diese nackte Wahrheit um die Ohren hauen. Ich denke da jetzt ganz ohne Eigennutz an mich. Tinnitus, Du musst Dich damit abfinden. Hat 10 Jahre gedauert bis dieser Umstand eintrat.
Rhizarthrose im rechten Daumengelenk, auch da meint der Arzt, Tja mein guter, weg geht das nicht mehr. Damit wirst du leben müssen.
Sind also Dinge Gregor, die mich nicht umbringen, aber…
Aber dennoch, wie am Anfang gebe ich Dir in Deinen Ansichten absolut recht. Vieles ist gar nicht so schlimm (wieder eine Phrase) wie es sich anfühlt.
Und Zustimmung, wenn ich positiv an die Dinge ran gehe, genau dann sind sie halb so schlimm.
Schönen 1. Mai
Hallo Holger,
gar keine Frage. Es gibt Botschaften, die man nicht einfach hinnehmen will oder kann. Aber sich in eine parallele positive Sphäre zu denken, ändert daran eben nichts. Und irgendwann kommt zweifelsohne der Sturz auf den Boden der Tatsachen.
Positiv an Dinge heranzugehen ist in Maßen sicher ein probates Mittel. Davon rede ich ja auch gar nicht. Ich rede ja davon, sich dem eigentlichen Problem gar nicht zu stellen.
LG und Dir auch noch einen schönen Feiertag
Gregor
Hallo Gregor,
sehr kretischer aber auch guter Artikel. Hat mir sehr gut gefallen. Das Video von Ulrike hatte ich schon mal gesehen und ich finde es auch sehr professionell und das nicht nur weil sie meine Meinung trifft.
Um es auf meinen persönlichen Punkt zu bringen:
Bei meinen Depressions Attacken hätte mir ein übermäßiges positiv Denken sicherlich nicht weitergeholfen und das eigentliche Problem nur verschlimmert. Heute kann ich (fast) immer damit umgehen, obwohl es auch nicht ganz ohne Medikamente geht.
Schönes Wochenende
LG Ede
Hallo Ede,
um mir mal ein Stückchen Deines Kommentars herauszugreifen: „Heute kann ich (fast) immer damit umgehen“
Genau darum geht es. Denn nur wenn man sich seiner Situation, Krankheit, etc. gewahr ist, kann man überhaupt erst damit umgehen.
Danke dito und LG
Gregor
Gregor, sei gegrüßt.
Am Tag der Arbeit postest Du also. Hmm.
Ein feiner Text, sogar mit Herrn Grebe garniert.
Alles schätzenswert. Danke.
? – Wären wir uns da einig:
Eine problembelastete Situation darf man mal kurz beiseitelegen.
Quasi aus organisatorischen Gründen.
Kein dauerhaftes Verdrängen der Sorgen.
Die fänden verdeckt andere Wege zurück zu Körper & Geist.
Wohl oder übel – es gilt, sich der Schwierigkeit zu stellen.
Schönmalerei wäre dann auch eine Form der Verdrängung.
Aber just diese Selbsttäuschung birgt mitunter eine Chance:
sie gibt Kraft, Zeit vergeht, Heilung kommt, Problemlösungen
tauchen auf, Hilfe wird angeboten. So kann es mal sein.
Positives Denken gibt dann den Gaukler.
Ändern sich die Beschwernisse jedoch nicht, dann hilft auch all
die Gaukelei auf Dauer nicht. Denn die Sorgen fänden verdeckt
andere Wege zurück… das hatten wir ja schon.
Und alle könnte sich verschlimmern.
Kurzum: Auf Zeit spielen – ja, als Versuch, begrenzt.
Nicht als allgemeine Lösung.
Und der dann nötige Realismus ist nicht gleich ein Negativdenken.
Denn das wiederum bewahrt nicht, heilt nicht. Es macht kaputt.
„In der Mitte wirst du am sichersten gehen.”
Sagte Herr Ovid vor einigen Jahren.
So um Christi Geburt.
Sei gegrüßt, Gregor.
Hallo Hermann,
Ovid und ich waren nicht gerade die besten Freunde im Latein-Unterricht. Aber hin und wieder hatte er ein jambisches Sparabo auf gute Formulierungen.
Danke für Deine Ausführungen. Ich sehe da eine weniger sarkastische, aber dennoch ähnliche Betrachtung.
Herr Grebe ist keine Garnitur, ich bitte Dich… Er ist grundsätzlich eine „Zugrebe“!
LG
Gregor
btw :
„Und wenn Dir der Beitrag gefällt, bin ich der Letzte, der dagegen wäre, dass Du ihn in den Sozialen Netzwerken teilst.”
Nutzt man dafür z.B. Deine G+Schaltfläche, öffnet sich dort das Geteilte mit einem kleinen Vorschaubild… naja, ganz streng genommen liegt dann dort für manche eine Grenze hin zum urheberrechtlichen Grau. Ein zitierter Satz, das ist unproblematisch. Solche Bilder hingegen bergen eine gewisse Gefahr. Die andernorts auch schon provoziert, ausgenutzt, abgemahnt wurde.
Nein, ich möchte hier nichts lahmreden.
Eigentlich liefe so das soziale Netzwerken:
Teilen und teilen lassen.
Creative Commons & Co.
Doch ich möchte’s mal öffentlich ansprechen.
Nicht jeder kennt Dich und mag (D)einer Aufforderung zum Teilen vertrauen.
Vielleicht sagst Du gelegentlich mal etwas dazu
oder ein anderer Leser Deines Blogs mag mein „?” kommentieren.
Ums Thema kreißen ja schon Fachanwälte und Gerichte.
Sorry. Möchte niemandem den Spaß verderben.
Hallo Hermann,
juristisch hast Du Recht. Allerdings ist das Bild ja zu einem bestimmten Zweck technisch hinterlegt. Es ist exakt zum Teilen in Sozialen Netzwerken im Quelltext angegeben. Insofern hat es eher etwas mit dem Nutzungs- als dem Urheberrecht zu tun.
Aus der Summe dessen, dass ich also jeweils ein passendes Bild hinterlege und die Möglichkeit biete per Knopfdruck das ganze zu teilen, gewähre ich automatisch ein Nutzungsrecht zu genau diesem Zweck.
Mag sein, dass ein paar juristische Wilderer Landgerichte mit so einem Murks beschäftigen möchten. Aber hier ist der Fall glasklar! Lasst euch also nicht abhalten und teilt so viel ihr lustig seid, das jeweilige Beitragsbild wird einzig und allein zu diesem Zweck erstellt.
LG
Gregor
Hallo Gregor,
für Dich bedeutet positiv denken doch eher gar nicht denken, ausblenden der Realität. Ulrike beschreibt es in dem Video ähnlich. Wenn nicht denken – blöd grinsen und nichts tun, positiv denken sein soll….Ahhh, das erklärt einiges.
Jede Situation wird doch vom Hirn bewertet und als erfahrene Dramaqueens nimmt unser Hirn gerne diese Wertung vor, ganz berechtigt, Shit happens – eine Sicht ist Dramaqueen, überzeichnen und Horror – durchatmen – es könnte auch….weitere postive Möglichkeiten zulassen. Die Bewertung der Situation ändert sich und es gibt mehr Handlungsmöglichkeiten. Wir lernen, dass unsere Dramen nicht zutreffen müssen und gibt uns mehr Handlungsmöglichkeiten,
Bei Ulrikes Beispiel merken wir vielleicht: Nachbar als Nervensäge geht gar nicht, weder im Haus nebenan, noch bei uns, dann gucken wir mal wohin wir ihn galant schicken können. Schlimmer als in diesem Jahr kanns ja nicht mehr kommen……und es kam schlimmer,
Hallo Sabrina,
bitte entschuldige die späte Antwort. Ich war gestern noch bis tief in die Nacht unterwegs und wollte das nicht zwischen Tür und Angel beantworten.
„Nicht denken“ ist keine Alternative. Das sage ich auch nicht. Überzeichnen kann nach außen helfen, aber sobald man beginnt für sich selbst die Dinge zu färben, kann der Schuss nach hinten losgehen.
Ich habe hier nichts zu positiven Gedanken als solches geschrieben, sondern über einen durchaus verbreiteten angeblichen Heilungsweg. Nämlich den, sich quasi aus einem Problem heraus zu denken. Wenn Du also eine „Dramaqueen“ mit einer psychischen Belastung oder gar Störung gleichsetzen willst, würde mich das wundern.
LG
Gregor
Hi Gregor,
prinzipiell ist nichts gegen einen gesunden Optimismus zu sagen, ganz im Gegenteil. Schwierig wird es, wenn alles als “positiv” angesehen werden “muss”, und der Optimierungswahn es nicht mehr zulässt, dass ein Mensch auch andere Gefühle als Happyness haben darf.
Ich danke Dir vielmals, dass Du das Thema aufgegriffen hast. Es freut mich sehr, dass Du auch mein Video geteilt hast – danke.
Liebe Grüße, Ulrike
Hallo Ulrike,
immer wieder gern! Es macht Spaß auf die Inhalte anderer einzugehen. Seiten- bzw. blogübergreifender Dialog ist etwas wirklich schönes!
Ja, ich weiß was Du meinst. Mir persönlich würde da die Vielfalt fehlen, die dieses Leben so lebens- und liebenswert macht.
LG und einen angenehmen Abend
Gregor
Ich kann wirklich nur jedem luzides träumen bei diesem Thema empfehlen! Bei wem es klappt wirkt es wie Magie!
Hallo Thomas,
ist das nicht letztlich auch nur eine Flucht, ein Kaschieren der Wirklichkeit? Ein Problem oder eine Herausforderung verschwindet ja nicht, nur weil man schöne Farbe darauf aufträgt. Ich verstehe nicht ganz, warum man sich in einen Traum begeben sollte, um sich und / oder die aktuelle Situation zu hinterfragen. Das widerspricht sich in meinen Augen.
LG
Gregor