Manchmal steht man an einem Scheideweg und manchmal scheiden sich die Geister.
(Weitere Wortspiele damit verkneife ich mir…)
Die heutige Frage kommt erneut von Ingo.
Auch wenn ich denke, dass er die Antwort prinzipiell kennt, öffne ich dann mal Schädel und Herz und beantworte die folgende Frage:
Bist Du eher emotional oder rational?
Nun, glücklicherweise brauche ich nicht mehr erwähnen, dass beides in einem steckt. Denn das steht ja bereits klar in der Frage.
Es fällt mir schwer zu kategorisieren, wann welche Seite zum Tragen kommt.
Ehrlich, ich habe da jetzt eine Weile darüber gegrübelt. Und jedesmal, wenn ich dachte, ich hätte etwas, wo ich immer emotional oder immer rational bin, kam mir ein Gegenbeispiel in den Sinn.
Dass der Beruf im Denkprozess Spuren hinterlässt, habe ich ja bereits in Türchen Nummer 5 erklärt.
Rationales Denken und Handeln hat letztlich viel mit Sicherheit zu tun – sei sie Fiktion oder real.
Ich habe mich viele Jahre immer weiter in eine sehr rationale Mauer eingemauert. Stein für Stein in einen Käfig, aus dem ich nicht herausgucken konnte bzw. wollte.
Wenige Löcher habe ich gelassen. Unter anderem den Blog. So wirst Du es mir schwerlich glauben, wenn Du mich nicht über den Blog hinaus kennst.
Doch wenn Du hier schon ein wenig länger liest, könnte Dir ein Wandel in den letzten Monaten aufgefallen sein. Denn dass diese Steine urplötzlich ihren Halt verloren, ist noch nicht so lange her.
Dass mir jegliche Mauer abhanden gekommen ist – und ich freue mich sehr darüber – merke ich jeden Tag. Denn ich bin zwar im Kern schon vorher ein emotionaler Mensch gewesen. Doch seit meinem privaten Mauerfall, steht mein Gemütshäuschen einige Ecken weiter; wesentlich näher am Wasser.
Manche werden seither nicht mehr schlau aus mir, andere wiederum lesen plötzlich in mir wie in einem Buch.
Es sind Emotionen, die das Leben erfüllen und uns zu dem machen, was wir abseits aller Wissenschaft umgangssprachlich als „Menschen“ bzw. „menschlich“ bezeichnen.
Sie können uns beflügeln und erden.
Die Ho, Ho, Ho Ratio setzt uns – ganz nach der Art von Ermittlern aus Miami – eine Brille auf und versucht ein Gleichgewicht zu schaffen.
Doch nur dieses Bestreben an sich nach einem vermeintlichen Gleichgewicht sorgt für einen nahezu ausgeglichenen Alltag. Denn ein tatsächliches Gleichgewicht aus beiden Seiten halte ich für Utopie.
Aber um auf die eigentliche Frage zurückzukommen:
Bei mir überwiegt die emotionale Seite. Ich bin zwar nicht ganz unbegabt darin, das zu verschleiern. Aber unterm Strich ist das so.
Die Folge des erwähnten Mauerfalls ist es nun, dass ich – um bei dem Bild zu bleiben – nun in einen Spiegel sehen kann und (wieder)entdecke wer ich bin. Denn dass ich hinter den Mauern der Rationalität nicht unverändert geblieben bin, ist logisch.
Ich hatte zwar schon immer ein gespaltenes Verhältnis zu meinem Spiegelbild. Aber glücklicherweise bin ich nicht allein damit, dass mir gefällt, was ich dort sehe.
Die Auswirkungen spüre ich auch beim Schreiben. Es fühlt sich anders an, besser! Auch wenn ich hinterher meine Texte lese.
Also, ich bin ein eher emotionaler Mensch – und das ist auch gut so!
Ich hoffe, das ist jetzt nicht allzu wirr geworden. Ich hätte die Frage ja auch in einem Satz beantworten können. Aber wenn schon, denn schon. Schließlich ist jedes Türchen nicht nur ein Stück weit Bekenntnis, sondern dadurch auch eine Art Dankeschön an Dich!
Wie sieht es bei Dir aus? Wenn Du magst, erzähl es mir – vielleicht in den Kommentaren?
Hallo zusammen,
Oh, eine wirklich interessante Frage, Ingo!
Ich bin der Meinung, dass wir alle Gefühlsmenschen sind. Die sogenannten Kopfmenschen unterscheidet lediglich eines von den Gefühlsmenschen: Sie argumentieren ihr scheinbar schwammiges Gefühl im Nachgang mit dem Verstand. Aber im Grunde entscheiden sie ebenfalls instinktiv aus dem Gefühl heraus. Die Argumentation dient dann der Sicherheit und sie wichtig; quasi eine Art Selbstbestätigung.
So gesehen, bin ich bei Dir, Gregor, es gibt keine reine Kopf- oder Gefühlsentscheidung… Toller Artikel! :-)
Liebe Grüße, Ulrike
Hallo Ulrike,
danke für Deine Einschätzung und Bestätigung
LG
Gregor
Hey Buddy,
das Bild von der rationalen Mauer finde ich ebenso gelungen wie passend.
In unserer Welt des schneller werdenden Wandels geht es mehr und mehr um Optimierung, Selbst-Optimierung. Der Tunnelblick auf Zahlen und Statisken, Leistungswerte ist einseitig, schränkt somit das emotionale Gesichtsfeld ein. Diese Art der rationalen Sicht- und Handlungsweise ist gesellschaftlich und/oder wirtschaftlich erzwungen.
Die andere rationale Sicht- oder auch Handlungsweise ist die persönlich auferlegte, die aus den eigenen Erfahrungen resultiert, mit der wir uns schützen und für — scheinbare — Sicherheit sorgen wollen: “Beim nächsten Mal passiert mir das nicht mehr. Da schalte ich vorher meinen Kopf ein.”
Indem wir uns so programmieren oder zu programmieren versuchen, wollen wir uns schützen. Das ist einsichtig und nachzuvollziehen. Wer macht einen offensichtlichen Fehler schon gern zweimal? Nur: Es besteht dann eben auch das Risiko der Überkompensation, die uns unsere Mitte, unser Gleichgewicht, verlieren lässt. In der Folge errichten wir dann womöglich die besagte rationale Mauer und geben ihr Gewicht, nähren sie opulent und verursachen damit letztlich ihr Übergewicht…
Richtig gut finde ich, dass Du die genannte Sicherheit mit “Fiktion oder real” differenzierst. Unser Kopf spielt uns da gern den einen oder anderen Streich. Die Gedanken können sich dann in eine Richtung entwickeln, die weder etwas mit real noch mit gesund zu tun hat und darüber hinaus zu schlechten Gefühlen führt, bis beispielsweise hin zu Panik-Attacken.
Welche Ironie: Wir wollen die Kontrolle behalten. Wir verlieren sie durch ein übersteigertes Kontrollverhalten. Wir verlieren unseren kühlen Kopf. Gefühle entstehen, verselbständigen sich, die uns mehr schaden, statt uns zu nützen.
Fazit, platt formuliert?
Die Mitte macht’s.
Zu guter Letzt: Auch die Weisheit unserer Sprache hilft uns, Klarheit zu bekommen:
Einen kühlen Kopf behalten.
Auf das Herz hören.
Aus dem Bauch heraus entscheiden.
Reine Kopfsache.
Eine Herzensangelegenheit.
Liebe Grüße
Ingo
Hallo Holly!
Nun, ich denke, dass die Mitte auch nur eine Flucht in eine vermeintliche Sicherheit ist. Vielleicht bin ich naiv, aber ich bin der Meinung, dass man da keine Richtung vorgeben kann. Es gibt kein Patentrezept oder Anleitung. Man kann eh nicht wirklich wissen wie das Leben in fünf Minuten aussieht – ob es überhaupt noch da ist. Daher macht es für mich kaum Sinn diesen vermeintlichen Schutz aufrechtzuerhalten. Denn selbst wenn er schützt, hält er eben auch das Leben vom Eintreten ab.
LG
Gregor