Wir nähern uns mit großen Schritten nicht nur dem letzten Türchen, sondern auch dem Weihnachtsfest.
Da liegt es nahe auch ein paar weihnachtliche Fragen zu beantworten.
Die heutige Frage kommt von Ulrike und passt wunderbar zu dem Trubel, der sich langsam aber sicher für die meisten von euch zuspitzen dürfte:
Was bedeutet Dir Weihnachten / die Vorweihnachtszeit? Auf was kannst Du in dieser Zeit verzichten und auf was gar nicht?
Also am meisten, würde ich mal sagen, stressen mich Umzüge in dieser Zeit…
Nein, Spaß beiseite!
Nun, Weihnachten mag ich an sich sehr gern. Nicht umsonst nennt man es auch das Fest der Liebe.
Ich mag die Besinnlichkeit, Ruhe und die Werte, die eigentlich bei diesem Fest nicht nur gefeiert, sondern auch praktiziert werden sollen.
Doch die Realität sieht meist anders aus. Und genau darauf macht mich die Vorweihnachtszeit alle Jahre wieder aufmerksam.
Ein Lichtquellenwettrüsten, das jede Landebahn zur Taschenlampe degradiert, beginnt. Mancherorts geht es nur noch darum wer den Größten hat…
…also Stromverbrauch.
Hinzu kommt der Kaufrausch. Es wird gedrängelt, gestoßen, geschimpft. Und gleichzeitig wird man mit den Frieden lobenden Weihnachtsliedern beschallt.
Meine Sicht auf Weihnachten ist zwiespältig
Auf der einen Seite steht da ein Fest, was aller Ehren wert ist.
Auf der anderen das was wir jedes Jahr daraus machen.
Ich will gar nicht bestreiten, dass ich mich nicht auch an das Bild eines Limonade trinkenden Weihnachtsmannes zwischen einer fußballfeldgroßen Ansammlung von Leuchtmitteln gewöhnt habe.
Dank solchem und anderem zurückhaltenden Verhalten haben wir ja auch nur noch selten weiße Weihnachten.
Ups, hab ich nen Nerv getroffen? – Ich hoffe es…
Ja, ich mag die Lieder, ich mag auch teilweise die Beleuchtung. Geschenke sind auch schön. Sowohl das Schenken als auch beschenkt zu werden. Ich mag den Geruch frischer Tanne, den brennender Kerzen.
Was mich stört ist der Mensch.
Von Heiligenschein bis Scheinheiligkeit
Ich habe gerade erst über Scheinwelten für Dich geschrieben.
Die Vorweihnachtszeit gehört in unseren Breitengraden für mich zu den größten Seifenblasen, die es gibt.
Schau Dir die Sozialen Netzwerke an:
Allüberall auf den Beitragsspitzen, sieht man scheinheilige Sprüche blitzen.
Während beispielsweise in amerikanischen Vorstädten die Kraftwerke einen Belastungstest erfahren, übt sich der digitale Mensch von heute im Verkünden von Werten, die er nur für diese Zeit extra beiseite gepackt hat.
Teilweise sind sogar eben jene Beiträge wie der Christbaumständer von anno Schnee alle Jahre wieder aus dem Keller geholt und noch mit Staubresten bedeckt in den Äther geblasen.
Schmalzige Botschaften werden gepredigt und nach dem Klick auf den Senden-Button direkt wieder ad acta gelegt.
Und wenn das noch nicht genug Aufmerksamkeit gebracht hat, muss halt das Selfie mit der vom Glühwein auf Rudolph-Niveau gefärbten Nase herhalten.
Hauptsache der Traffic stimmt…
Advent, Advent, die Seele brennt
Advent bedeutet Ankunft und zielt logischerweise auf die eigentliche Weihnachtsgeschichte ab.
Doch statt um eine Ankunft, dreht sich alles nur darum was (gut) „ankommt“: Sprüche, Weisheiten, den letzten Schrei verschenken, und und und.
Ich finde es schade! Schade um eine Zeit, in der man vieles mit Ehrlichkeit, Besinnlichkeit und Nächstenliebe machen sollte und könnte.
Falls jetzt der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde Weihnachten hassen, muss ich das korrigieren.
Ich mag Weihnachten sehr, sehr gerne!
Aber wir pervertieren es.
Für mich ist Weihnachten ein Bild
Ein Bild, in dem eine Familie in der Stube sitzt. Draußen schneit es, drinnen ist es warm, gemütlich, behaglich und friedlich.
Und ja, draußen ist es kalt und nicht menschenleer. Dort sind all diejenigen, denen die Stube aus den verschiedensten Gründen verwehrt bleibt.
Dieses Bild ist nicht starr. Die Fenster mögen beschlagen sein, doch ist der Geist nicht vernagelt und der Blick nach draußen befreit Gedanken, das Herz und schafft Hilfe, Geborgenheit und Nächstenliebe, öffnet die Tür.
Das mag utopisch und märchenhaft klingen. Aber so sehe ich das Weihnachtsfest.
Augenöffnend, warmherzig und aufgeschlossen.
Wenn wir auch nur halb so viel Energie auf das Leben der das Weihnachtsfest verkörpernden Werte verwenden würden, wie wir sie in scheinheilige Sprücheklopferei, Einkaufsstress und Weltraumausleuchtung investieren, sähe die Welt ganz anders aus.
Dann bräuchten wir keine Lichterketten. Leuchtende Augen würden weit mehr strahlen und wären alles andere als künstlich.
Auch wenn das jetzt ein wenig drastisch daherkommt, freue ich mich an sich auf Weihnachten. Wie gesagt, es ist ein wenig ambivalent.
Schließen möchte ich mit den Worten von Erich Kästner. Zum Nachdenken, als Anregung.
Hej Gregor.
Jahrzehnte ist’s her, da gab’s einen Aufschrei, als der renommierte Journalist Wolf Schneider (manche bezeichneten ihn auch als den „Levitenleser der Nation”) anprangerte: Weihnachten sei das unchristlichste Fest. Er meinte die Weise, wie’s mancherorts begangen werde, und die Auswirkungen, die in der Bilanz nicht zum Wohle der Menschen seien.
Das gebe ich bloß bruchstückhaft wieder, denn ich erinnere mich nicht mehr so genau (wahrscheinlich trug’s Schneider Mitte der 80er vor). Ulrikes Frage & Deine Antwort veranlassten mich, mal zu schauen, wie der Bösewicht mittlerweile denkt. Radikal, so kam seine damalige Botschaft zum Fest der Feste bei vielen an.
Ist bei Schneider nun nach Jahrzehnten ein Hauch Versöhnlichkeit, ein kleiner verheißungsvoller Ausblick hinzugekommen? Ja. Und es liegt an jedem einzelnen, den Türspalt in jene Richtung weiter zu öffnen. Eigentlich schon im eigenen Interesse. Ob’s aber so passiert…
Aus einem Artikel des Vorjahres zitiere ich Wolf Schneider und verabschiede mich einstweilen, Dich – Deine Fragesteller – Deine Leser herzlich grüßend.
Hermann
„Ich selbst habe in den vergangenen zwanzig Jahren Weihnachtsfeste eher vermieden. Ich habe zu Weihnachten nichts verschenkt und wollte nichts geschenkt bekommen, ich mag diese Stress verursachenden Konsumexzesse nicht. Auch die Gelage um die Weihnachtsgans, während unter dem Christbaum der Verpackungsmüll den Wohnzimmerboden bedeckt, und die Völlerei mit Alkohol und Süßigkeiten mag ich nicht und auch nicht die Tage, in denen das Familienleben sich vor allem vor dem Fernseher abspielt und im Streit, welches Programm einzustellen ist. So wundert es mich auch nicht, dass zu Weihnachten, zum »Fest der Liebe«, die häusliche Gewalt ihren jahreszeitlichen Höhepunkt erreicht.
(…)
Ist es doch der Verlust an Heimat und die vermisste Liebe, was für so viele Menschen Weihnachten zu einem Fest des Schmerzes, der Heuchelei und Trennung macht. Ohne Stille ist Heiligkeit eben nicht zu finden.
Ohne Mystik gibt es nichts tief Religiöses und kein bei-sich-selbst-Ankommen – und das alles gibt es nicht ohne eine innere Stille, die auch äußeren Lärm erträgt, und die, wenn der Lärm abebbt, wieder ganz bei sich ist.”
Quelle : http://www.kgsberlin.de/aktuell/artikel/eintrag/art86674.html
Hallo Hermann!
Nun, so radikal bin ich ja nicht. Das Beisammensein und die Gaben gehören für mich schon dazu. Es ist halt wie so oft eine Frage des Maßes.
Andererseits gebe ich dem tapferen Schneiderlein auch Recht bei manchen seiner Kritikpunkte.
Vor dem Fernseher sollte Weihnachten nicht verbracht werden. Vielleicht temporär bei familiärer Einigkeit, weil etwas einendes, besonderes zu sehen ist.
Über häusliche Gewalt brauchen wir nicht diskutieren. Das gehört weder zu Weihachten, noch auf diesen Planeten!
Heimatverlust sehe ich in Zusammenhang mit Weihnachten weniger kritisch. Denn feiert man nicht die Unterkunft im Stall samt Krippe?
Vermisste Liebe hingegen ist ein schmerzlicher Beigeschmack in dieser Zeit. Egal ob beim Schlendern auf dem Weihnachtsmarkt, den Straßen oder beim Fest selbst.
Aber das ist ein eigenes Thema.
Stille, respektive Ruhe, finde ich zu Weihnachten auch wichtig. Damit meine ich nicht das betretene Schweigen am Tisch, weil Verwandtschaft XY gerade wieder einen seiner ach so geliebten Sprüche vom Stapel gelassen hat, sondern Phasen der (gemeinsamen) besinnlichen Ruhe. Als Paar stumm kuscheln und einfach dem Moment und dem Glück damit allen Raum geben zum Beispiel.
Wer allerdings ein Fest braucht um bei sich anzukommen, sollte schauen ob der Kalender wirklich sein Leben bestimmen sollte und nicht umgekehrt.
Vielen Dank für Deinen Beitrag, Hermann!
LG
Gregor
Vorhin in Eckernförde: eine Restaurantbesitzerin, die in diesen Tagen ein volles Haus hat, sagte mir, ab morgen sei geschlossen. „Die Kinder müssen auch mal dran sein.”
Gerade ab jetzt Umsatzeinbußen über alle Festtage hinnehmen mit solch einer Begründung… hallo, guter Weihnachtsgedanke, dich gibt’s doch immer mal wieder.
Dir*Euch, lieber Gregor, das Beste zum… also, in diesen Tagen. Und überhaupt.
Hermann
Guten Abend Hermann,
nun, man muss eben Prioritäten setzen.
Euch ebenso das Beste!
LG
Gregor