Tja ja, der Wahnsinn begegnet uns Tag für Tag.
In der Idylle fernab der Großstadt hat er sicher andere Gesichter als beispielsweise hier in Berlin. – Gar keine Frage.
Doch ich will damit keineswegs auf ein herkömmliches Krankheitsbild hinaus. Um sich dazu zu äußern sollte man auch eine entsprechende Expertise vorweisen können, finde ich.
Wozu ich hier und jetzt etwas sagen möchte steckt im Wort selbst. Denn es geht mir um den den Wahn der Sinne. Und ich möchte im Rahmen vom Projekt *txt mal meinen Senf dazugeben.
Mir wird es zu bunt
Längst haben wir einen Stand erreicht in dem die Wahrnehmung zur Wahnnehmung pervertiert ist.
Was nicht bunt genug ist, strahlt Langeweile aus, steht allein da, findet selten Beachtung.
Wo einst Akzente gesetzt wurden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, müssen heute Sensationen ein Meer aus Akzenten übertönen.
Höher, schneller, weiter – unter diesem Anspruchslevel finden sich langläufig nur Verlierer bzw. werden sie so angesehen.
Dabei ist es egal, ob wir uns die Werbung anschauen, das Fernsehprogramm studieren, die Kino-Trends unter die Lupe nehmen oder einen Blick auf die Mode werfen.
Und bei den Stellen, die ich schon als Kind als für Auffälligkeit vorgesehen betrachtet habe, ist es ja nicht geblieben. Heute wimmelt es von Displays und anderen Möglichkeiten der Präsentation.
Ja, Du hast vollkommen Recht, wenn Dir jetzt wie mir das Wort „Reizüberflutung“ durch den Kopf geht.
Das Feld des Bunten ist so weit, dass ich mich auf ein Beispiel beschränken möchte, dass wir alle gleichermaßen kennen, egal wo wir wohnen, Stadt oder Land, vollkommen egal:
Social Media!
Jeder von uns hat seinen eigenen Stream an Nachrichten, die da in den unterschiedlichsten Netzwerken zusammengestellt werden.
Manche zeigen ihr gerade serviertes Essen, das neuste Kunststück ihres Haustiers und, und und. Da gibt es ja leider Gottes kaum noch Grenzen.
Vor einigen Jahren konnte man bei Facebook zum Beispiel noch Status-Updates schreiben, die nur Text enthielten, und die wurden sogar gelesen.
Ja, lang ist’s her! Heute braucht überspitzt und im übertragenen Sinne sogar Dein Nachbar ein Hochglanz-Foto im Beitrag, um Dich nach einer Tasse Zucker zu fragen. – Logisch. Die Türklingel hört man ja nicht, weil gerade das neuste Katzenvideo auf YouTube angeworfen wurde und nun den Hund des anderen Nachbarn in den Wahnsinn treibt.
Nein, aber mal im Ernst. Ich persönlich bin nun durch den Blog und verschiedene andere Projekte viel im Bereich Social Media unterwegs. Das liegt in der Natur der Sache und ich sehe das auch nur in wenigen Fällen als Freizeit. Denn Marketing und Weiterbildung unterscheiden sich zwischen Privatmensch und Unternehmer nur in der Gewinnabsicht.
Herkömmliche (Tages-)Nachrichten beziehe ich schon länger nicht mehr über Social Media. Das war einmal sehr bequem und für mich war das wie in Ruhe eine Zeitung zu lesen, die mir das für mich subjektiv Interessante zusammenstellte. Dazu ein Kaffee und die Welt war in Ordnung.
Inzwischen kann ich das nicht mehr und brauche es auch nicht um auf dem Laufenden zu bleiben. Wenn in Bad Oberlangweilig der Türknauf im Rathaus den Geist aufgibt, werde ich das trotzdem zeitnah mitbekommen!
Warum? – Nun, weil drei verschiedene Nachrichtenportale darüber mit exklusiven Bildern schreiben werden, vielleicht bereitet es ein Komiker noch als Steuersünde des Jahrhunderts auf, diverse Karikaturen werden angefertigt und um die Ohren gezwitschert, kundgetane Solidaritätsbekundungen reichen vom Hausmeister des Rathauses bis hin zur Gewerkschaft der Türknaufhersteller, Profilbilder werden mit Klinken versehen. Und das alles wird dann nochmal von mindestens 5 Kontakten pro Netzwerk und Stunde geteilt.
Man kriegt es also direkt ins Wohnzimmer transportiert ohne auch nur einen Handschlag dafür tun zu müssen. Im Gegenteil – bezieht man das Ganze auch noch selbst, wird es ja nochmal mehr auf den Bildschirm und das Display gemalt.
Das ist die eine Seite im Sinne der Masse an Informationen, Bildern und Farben.
Auffallend auffallend
Der nächste Punkt ist dann das sich vollkommen natürlich daraus ergebende:
Jeder, der da irgendwas schreibt – vollkommen egal worum es geht – will logischerweise auch, dass es jemand zur Kenntnis nimmt. Was muss man also tun? Richtig, auffallen.
Nur wie fällt man auf, wenn jeder auffallen möchte? – Und genau da wird es pervers.
Mein Lieblingsbeispiel sind da die lieben Modeblogger(innen). Das soll nicht heißen, dass ich diese Zunft negativ sehe. Ganz und gar nicht! Sie haben ihre Daseinsberechtigung und es gibt viele, die das wirklich mit Herzblut und toll machen!
Der Punkt ist, ich bin übers Bloggen natürlich in diversen Gruppen, Communities etc. unterwegs, wo man seine Beiträge eben unter die Leute bringt. Klar. Und ich kann teilweise die Uhr danach stellen, dass wenn die durchschnittlich beste Zeit für das Verteilen von Blogbeiträgen gekommen ist, mein Stream in den schillerndsten Farben geradezu explodiert.
Gerade bei den Mode-Beiträgen sind das dann eben zumeist Fotos der Blogger(innen) in den zu präsentierenden Outfits. Deshalb sind auch die Mittel um aufzufallen sehr ähnlich bzw. in meinen Augen reichlich persönlich.
Auf der einen Seite finde ich es bewundernswert wie professionell diese Aufnahmen gemacht und aufbereitet werden. Auf der anderen Seite ist es erschreckend wie klein der Schritt rein optisch betrachtet vom modeinteressierten Mädchen hin zur Schaufensterpuppe ist. Ein sehr schmaler Grat, der nur allzu häufig (meine Meinung) überschritten wird.
Gut, vielleicht würde ich das anders sehen, wenn mir eine der hochgelobten Sommerblusen stehen würde. Aber das ist ein eigenes Thema.
Damit wir uns nicht falsch verstehen:
Ich bin ein großer Freund von schreibenden Menschen. Ganz gleich zu welchem Thema publiziert wird. Wenn ich lesen und sehen kann, dass es aus Leidenschaft passiert, finde ich es toll und es holt mich ab!
Aber ich finde es krank und es stimmt mich traurig, wenn ich sehe, was für Zirkuskunststücke aufgeführt werden müssen, um wahrgenommen zu werden.
Man erwartet von jedem, der etwas darbietet, Authentizität. Doch wie frage ich mich, wenn man sich erst einmal dem Einheitsbrei prostituieren, ja irgendwie gleich sein muss.
In meinen Augen verlieren die Inhalte – gleich welcher Natur – an Wert, wenn man sie an die Außenwelt anpasst. Die Individualität geht einfach mindestens ein Stück weit flöten. – Und das ist für Urheber und Konsument gleichermaßen unschön!
Um bei den Mode-Beiträgen zu bleiben: Mir gefällt eine Aufmachung mit einem schnell mal per Handy geschossenen Bild tausendmal mehr als ein mit unheimlich viel Aufwand und Nachbereitung gemachtes Profi-Foto. Weil es mir symbolisiert, dass da jemand einfach zeigen möchte, dass ihr oder ihm Klamotten gefallen und das mit dem Rest der Welt teilen möchte. – Egal ob man dafür entlohnt wird oder nicht. Die Marke ist eben nicht das anzupreisende Produkt, sondern der Mensch, der es anpreist.
So wie Du – egal ob online oder offline – eher und lieber dort einkaufst, wo Du schon positive Erfahrungen gemacht hast oder Dich einfach mit der Verkäuferin / dem Verkäufer verstehst.
Du bist nicht genug
Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist der der Perfektion.
Uns wird suggeriert, dass wir makellos, fehlerfrei und moralisch unantastbar durchs Leben gehen müssen, um anerkannt und angenommen werden zu können.
Wer nicht in die Backform eines Trends passt, sollte tunlichst in seiner Höhle versteckt bleiben. – Das ist zumindest das Fazit, was ich aus den Ergebnissen und meinen persönlichen Erfahrungen ziehe.
Das verschiebt die Wahrnehmung auch auf die negativen Aspekte. Man achtet viel mehr auf (negative) Kritik bzw. gibt dem weniger guten mehr Gewicht und verzerrt so nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch das Selbstbild.
Das kann so weit führen, dass Lob und Anerkennung nur noch in Zusammenhang mit Auszeichnungen einen persönlichen Wert hat.
Aber in was für einer Welt leben wir? Menschen bringen sich gegenseitig aus den absurdesten Motiven um. Konkurrenzdenken wohin das Auge sieht. Wer nicht funktioniert wie eine Maschine, wird früher oder später durch eine ersetzt. – Ist das perfekt oder Perfektion?
Das Gefühl nicht zu genügen frisst sich in alle Lebensbereiche und reicht in seiner Wirkung vom vorporgrammierten Scheitern bis hin zu echten Krankheitsbildern. Und ist das erst einmal im Kopf, benötigt es viel Zeit und Geduld, das Stück für Stück zu einem gesunden Selbstbewusstsein zurückzuführen.
Mein persönlicher erster Schritt in die richtige Richtung weg von diesem Backform-Denken war ein Satz, über den ich im Zuge meiner Interessen-Weiterbildung gestolpert bin:
„Unperfekt ist das neue perfekt“Gordon Schönwälder
Und ja, ich sehe dessen Wirkung auch an und in meinen Beiträgen. Trotzdem aber mit einem Lächeln.
Ja, ich habe zu wenig Zeit meine Beiträge so zu illustrieren, wie ich es schonmal eine Zeit lang gemacht habe.
Ja, ich bin oftmals kurz vor knapp mit dem Termin für den nächsten Beitrag und schieße dann gern mal aus der Hüfte anstatt lange daran zu feilen.
Und ja, ich kann damit leben.
Natürlich ist da seitdem noch mehr in meinem Leben als dieser Satz passiert. Aber trotzdem habe ich den für mich als eine Art Leitsatz, Beruhigungsmittel, Art der Erdung adaptiert.
Danke an der Stelle, Gordon!
Was ich eigentlich sagen möchte
Weißt Du, in einer Welt, in der Dir an jeder Ecke 25348347836 Leute sagen, wie Du sein musst, damit Du toll bist, sei einfach Du selbst. Und wenn das nur drei Leute toll finden, dann wirst Du mit diesen drei Menschen sehr viel Spaß im Leben haben und den Rest der Menschheit nicht vermissen.
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag und komm gut in die nächste Woche!
Mir wie aus der Seele gesprochen Gregor … …
„Unperfekt ist das neue perfekt“ finde ich total genial und sehr angenehm, fällt es doch auf, sehr sogar. Also was will man denn noch mehr?
Bleib wie du bist und du bist Mensch, mit all seinen unperfekten Eigenarten. So will ich es und du sicherlich auch (letztendlich). Wie ich es immer verabscheue, trotzdem benutze ich mal diese Worte – “Bleibe authentisch” (ich glaube das wurde vom “Affenblog” mal geprägt) ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, meiner Meinung nach.
Ein toller Artikel Gregor und wie bereits erwähnt, schlägt er total in meine Richtung ein. (ohne die vielen, vielen Mode- und Beautybloggerinnen zu nahe treten zu wollen – werden diese immer jünger (Tussis nenne ich sie insgeheim) und meinen, durch trendiges unqualifiziertes posten von Outfits berühmt zu werden – lach mich wech). Okay, bevor ich in deiner Kommentar Zeile einen weiteren Blogbeitrag schreibe … …
Einen ruhigen und entspannten Sonntag Abend meinerseits
Ede
Hallo Ede,
danke Dir für Deine Worte!
Ja, wer will es den Menschen verübeln berühmt werden zu wollen? Es wird ihnen ja an jeder Ecke suggeriert. Und das beileibe nicht nur vom Fernsehen. Zweite Plätze zählen heutzutage nicht mehr. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.
Ich für meinen Teil habe hier einen Pokal mit ner 2 darauf zu stehen, bin stolz darauf und verbinde damit tolle Erinnerungen an ein schönes Turnier und grandioses Wochenende vor vielen Jahren.
LG
Gregor
Hey Buddy,
wow, hier hast Du ja ein umfassendes Thema aufgemacht. Danke für den Beitrag.
Zum Glück gibt es ja noch Rückzugsorte, um die genannte Reizüberflutung, den Wahn der Sinne, zu umgehen. Zum Glück können wir uns diese auch selbst schaffen. Und zum Glück bleibt uns oft auch die Wahl zu entscheiden, mit welchen Menschen, Themen und Dingen wir uns umgeben.
Darüber hinaus geht aus einer Entwicklung oft eine andere hervor. Diese andere Entwicklung stellt wieder mehr Gleichgewicht in unserem Leben her.
Beispiel: Reizüberflutung auf der einen Seite, Ruhe, Auf-sich-Besinnen, die bewusste Inszenierung dessen, auf der anderen Seite. Es gibt auch einen Begriff dafür, geprägt von Faith Popcorn, eine Trendforscherin: Cocooning. Der Begriff stammt aus den 80er Jahren und hat wahrscheinlich sogar an Aktualität gewonnen.
Für mich persönlich ist die Reizüberflutung nur eine Perspektive unter vielen vorhandenen und mir möglichen Perspektiven. Dies setzt freilich voraus, dass ich mich auf mich besinnen und ich selbst sein und bleiben kann.
“It takes a man to suffer ignorance and smile. Be yourself, no matter what they say. Be yourself, no matter what they say. Be yourself, no matter what they say. Be yourself, no matter what they say…” (Englishman in New York, Sting)
Liebe Grüße
Ingo
Hey Holly,
Perspektivwechsel sind grundsätzlich notwendig. Egal wie ausgelastet die Sinne sind. Keine Frage.
Und ja, Rückzugsorte sind wichtig, sehr wichtig. Sei es ein Proberaum, Freundschaft, Partner(in) oder was auch immer einem am Herzen liegt und man denen, die den Ort teilen, am Herzen liegt.
„Darüber hinaus geht aus einer Entwicklung oft eine andere hervor. Diese andere Entwicklung stellt wieder mehr Gleichgewicht in unserem Leben her.“
Wie wahr….!
LG
Gregor
Ist dir schon mal aufgefallen das jeder unbedingt Irre,wahnsinnig und individuell sein möchte? Aber wehe ihnen kommt ein wirklich geniales, wahnsinniges ,individuelles “Genie” entgegen.
Schöner Beitrag,toll zu lesen,hat Spaß gemacht.
Hallo Emma,
das wahnwitzige ist ja, dass sie dabei alle dieselben Ratschläge befolgen. Und huiii ist die Individualität dahin.
Da bleib ich lieber bei Frau Langstrumpf.
https://www.youtube.com/watch?v=J-UQcOGLDLY
LG
Gregor
Top Beitrag. Ich persönlich bin auch 100% sicher, dass wir unser eigenes Ding machen sollten, denn all diese Grenzen, die uns in der Kindheit gesetzt wurden, sind sinnlos, wenn wir uns einmal anschauen, dass das Universum unendlich groß ist. Ich persönlich studiere Multimedia Marketing und werde mich danach selbstständig machen. Das Leben ist zu kurz, um nicht seinen eigenen Dickschädel durchzusetzen und sich selbst und andere glücklicher zu machen!